
Brandgefährlicher Irrweg: Friedman warnt Israel vor Gaza-Invasion
Falken auf beiden Seiten
Der renommierte amerikanische Journalist Thomas L. Friedman hat sich in einem Meinungsbeitrag für die New York Times äusserst besorgt über eine mögliche israelische Bodenoffensive im Gazastreifen geäussert. Sein Fazit: «Israel ist dabei, einen schrecklichen Fehler zu begehen.»
von Redaktion | 24. Oktober 2023
Laut Friedman habe US-Präsident Biden bei seinem Besuch in Israel zwar viel Verständnis für die schwierige Lage Israels gezeigt. Er habe dazu aufgerufen, aus den Fehlern der USA im Irak und in Afghanistan zu lernen. Dennoch sei es Biden nicht gelungen, Israel von einer Invasion abzuhalten.
Friedman warnte eindringlich, dass eine israelische Bodenoffensive ohne ein klares Bekenntnis zu einer Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern ein schwerer Fehler wäre. Sie könnte die gesamte Region in Brand setzen und die seit den 1970er Jahren mühsam aufgebauten pro-amerikanischen Allianzen in der arabischen Welt zerstören.
Laut Friedman drängen die rechtsextremen Koalitionspartner Netanjahus auf eine solche Offensive und torpedieren gleichzeitig die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland. Netanjahu habe sich selbst in diese Lage manövriert, weil er die Extremisten brauche, um einer Verurteilung wegen Korruption zu entgehen.
Ein US-Beamter wird mit den Worten zitiert, das israelische Militär sei noch «falkenhafter» als Netanjahu und wild entschlossen, der Hamas einen vernichtenden Schlag zu versetzen.
Friedman warnt eindringlich davor, dass der Iran und die Hisbollah einen grossen Krieg anzetteln könnten. Die US-Marine habe bereits Raketen aus dem Jemen abgefangen. Es fehle nur noch ein Schritt zu einem regionalen Konflikt, der auch die USA, Russland und China einbeziehen könnte.
Selbst wenn Israel alle Anstrengungen unternehme, zivile Opfer zu vermeiden, werde das in der arabischen Welt keine Rolle spielen, so Friedman. Er verweist auf einen Vorfall in dieser Woche, als eine fehlgeleitete Rakete versehentlich ein Krankenhaus in Gaza traf. Obwohl Israel stichhaltige Beweise vorgelegt habe, hätten die Hamas und der Islamische Dschihad dennoch Israel beschuldigt und die Strassen in vielen arabischen Ländern in Brand gesetzt.
In unserer hochgradig vernetzten Welt voller Falschinformationen und künstlicher Intelligenz, warnt Friedman, könnte selbst ein chirurgisch begrenzter Militärschlag Israels fatale Folgen haben und die Situation völlig ausser Kontrolle geraten.
Sein eindringlicher Appell an Präsident Biden: Wenn Israel eine Bodenoffensive für unausweichlich halte, müsse dies unbedingt mit einem glaubwürdigen Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung einhergehen. Andernfalls drohe eine Katastrophe für Israel, die USA und den Weltfrieden.
Friedman warnte auch davor, dass die Situation leicht anders wahrgenommen werden könnte, als sie tatsächlich ist. Selbst wenn Israel sich grösste Zurückhaltung auferlege, um zivile Opfer zu vermeiden, werde dies von arabischer Seite kaum anerkannt. Wie die Reaktion auf den Raketeneinschlag im Krankenhaus zeige, dominierten oft Emotionen und Schuldzuweisungen die Debatte, nicht Fakten.
Der Kolumnist befürchtet, dass falkenhafte Hardliner auf beiden Seiten die Eskalation bewusst vorantreiben, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Für Israel sei es in dieser Situation am besten, sich auf eine begrenzte Geiselbefreiungsaktion zu beschränken und Spezialkräfte gezielt gegen die Hamas-Führung einzusetzen.
Friedmans eindringliche Warnung ist klar: Ohne eine Abkehr von der Siedlungspolitik und ein glaubwürdiges Bekenntnis zu einem palästinensischen Staat wäre eine Invasion nur Wasser auf die Mühlen der Extremisten. Sie könnte die Region in einen Flächenbrand stürzen, mit verheerenden Folgen für Israel, die arabische Welt und den Weltfrieden. Er appelliert an die USA, diesen Standpunkt gegenüber Israel mit Nachdruck zu vertreten.
Thomas Loren Friedman ist ein US-amerikanischer Journalist. Er ist Korrespondent und Kommentator der New York Times mit dem Schwerpunkt Aussenpolitik. Neben der Globalisierung hat sich Friedman vor allem mit der politischen Lage im Nahen Osten auseinandergesetzt. Als Nahost-Korrespondent der Presseagentur United Press International und der New York Times verbrachte Friedman die 80er Jahre im Libanon und in Israel. In seinem Buch «From Beirut to Jerusalem» beschreibt er seine Erfahrungen; seine Reportagen über die Massaker von Sabra und Schatila wurden mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Friedman tritt in seinen Publikationen immer wieder für eine Verhandlungslösung im palästinensisch-israelischen Konflikt ein und äußerte mehrfach harte Kritik an der israelischen Siedlungs- und Wasserpolitik.