Seit sechs Jahren kaum Lohnerhöhungen

Früher stiegen die Reallöhne im Einklang mit der Arbeitsproduktivität um etwa 1 Prozent pro Jahr. Leider hat sich das geändert. Ab Ende 2021 wird nicht einmal mehr die Inflation ausgeglichen. Das war früher selbstverständlich in der Schweizer Sozialpartnerschaft. Zusammen mit den steigenden Krankenkassenprämien wird deutlich, dass immer mehr Haushalte Schwierigkeiten haben, mit ihrem Einkommen über die Runden zu kommen.

Besorgniserregend sind auch die Entwicklungen in einigen Branchen. Die Durchschnittslöhne der Arbeitnehmer in der Post- und Kurierdienstbranche ohne Führungsposition waren 2022 nominal niedriger als 2010. Die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in dieser Branche ist erschreckend. Ein guter Gesamtarbeitsvertrag ist dringend erforderlich. In der Chemie-, Metall- und Elektroindustrie sind die Reallöhne zwischen 2018 und 2022 um mehr als 2 Prozent gesunken (ohne Führungspositionen).

Positiv ist jedoch, dass die Bemühungen zur Verbesserung der Löhne von Frauen auf betrieblicher und gesamtarbeitsvertraglicher Ebene Früchte tragen. Der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern hat sich weiter verringert. Allerdings verdienen Frauen immer noch durchschnittlich mehr als fünf Prozent weniger als Männer – bei Fachkräften ohne Führungsposition. Ein großes Problem besteht darin, dass die Löhne in “Frauenberufen” generell niedriger sind. Hier müssen besondere Anstrengungen unternommen werden, um diese Berufe aufzuwerten – zum Beispiel durch Gesamtarbeitsverträge mit angemessenen Mindestlöhnen in der Kinderbetreuung und Langzeitpflege. Bei Führungskräften sind die Unterschiede mit rund 15 Prozent nicht nur größer, sondern verringern sich auch langsamer. Dies ist nicht überraschend, da es kaum kollektive Anstrengungen gibt, um die Situation zu verbessern.

Der Anteil der Niedriglohnstellen hat sich seit der letzten Erhebung im Jahr 2020 nicht verändert. Manche mögen dies als positiv empfinden, aber tatsächlich sollte die Schweiz ehrgeizigere Ziele verfolgen. Leider haben die Arbeitgeber in den letzten Jahren kaum Verbesserungen angeboten. Weder gab es angemessene Lohnerhöhungen noch wichtige neue Gesamtarbeitsverträge mit wirksamen Mindestlöhnen. Es besteht beispielsweise eine große Lücke im Detailhandel. Die Bevölkerung hat zunehmend die Geduld verloren und fordert staatlich festgelegte Mindestlöhne, die ein ausreichendes Einkommen gewährleisten.

Etwa ein Drittel der Erwerbstätigen mit Niedriglohn hat eine Berufslehre abgeschlossen. Dies ist ein ungelöstes Problem. In vielen Fällen reicht die Lehre nicht zum Leben. Vier von zehn Frauen verdienen weniger als 5000 Franken pro Monat (Vollzeitäquivalent, 13 Monatslöhne). Die Schweiz muss in den kommenden Jahren ernsthaft darüber nachdenken, wie sie die Berufslehre in die Zukunft führen will. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist ein Monatslohn von 5000 Franken mit abgeschlossener Lehre das Minimum.