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Die Biden-Stalin-Doktrin
«Präsident Biden hat gestern (22.2.2024) weitreichende Wirtschaftssanktionen gegen Unternehmen und Einzelpersonen in Russland und in Ländern, die mit Russland Handel treiben, angekündigt. Als Grund wurde der Tod von Alexei Nawalny im Gefängnis genannt.
Bis gestern wurden in Gaza 29.708 Menschen durch von den USA gelieferte Munition getötet, und die USA haben wiederholt Forderungen der großen Mehrheit der UN-Mitglieder nach einem Waffenstillstand in Gaza mit ihrem Veto blockiert.
Stalin sagte einmal, der Tod eines Menschen sei eine Tragödie, aber der Tod von einer Million Menschen sei nur eine Statistik. Präsident Biden scheint diese Ansicht zu teilen.»
Jack F. Matlock, ehemaliger US-Botschafter in Moskau
von Jack F. Matlock / Redaktion | 23. Februar 2024
In Портрет тирана (1981) (Portrait eines Tyrannen) schreibt der sowjetische Historiker Anton Antonov-Ovseyenko Stalin folgende Version zu:
«Wenn ein Mensch stirbt, ist es eine Tragödie. Wenn Tausende sterben, ist es eine Statistik.»
Dies ist die angebliche Antwort Stalins während der Teheran-Konferenz 1943, als Churchill sich gegen eine frühzeitige Eröffnung einer zweiten Front in Frankreich aussprach.
In ihrer Rezension «Mustering Most Memorable Quips» des 1997 erschienenen Dictionary of Modern Quotations von Konstantin Dushenko (Словарь современных цитат: 4300 ходячих цитат и выражений ХХ века, их источники, авторы, датировка), stellt Julia Solovyova allerdings fest:
«Die russischen Historiker haben keine Aufzeichnungen über die Zeilen: ‘Der Tod eines Menschen ist eine Tragödie. Der Tod einer Million ist eine Statistik’, der in englischsprachigen Wörterbüchern gemeinhin Josef Stalin zugeschrieben wird.»
Dieses Zitat könnte auch aus “Französischer Witz” (1925) von Kurt Tucholsky stammen:
«Darauf sagt ein Diplomat vom Quai d’Orsay: ‘Der Krieg? Ich kann das nicht so schrecklich finden! Der Tod eines Menschen: das ist eine Katastrophe. Hunderttausend Tote: das ist eine Statistik!’»
Eine weitere mögliche Quelle oder Anregung sind die Schlussworte des achten Kapitels des Romans Der schwarze Obelisk von Erich Maria Remarque aus dem Jahr 1956:
«Aber das ist wohl so, weil ein einzelner immer der Tod ist — und zwei Millionen immer nur eine Statistik.»
Mary Soames (Tochter von Churchill) behauptet, Stalin im Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Variante des Zitats sagen gehört zu haben:
«Töte einen Menschen, und du bist ein Mörder. Töte Millionen von Menschen, und du bist ein Eroberer. Töte sie alle, und du bist ein Gott.»
In einem Interview für den dreiteiligen Dokumentarfilm Der Prozess des Norddeutschen Rundfunks von 1983 über den Dritten Majdanek-Prozess schreibt Simon Wiesenthal das Zitat der unveröffentlichten Autobiographie von Adolf Eichmann zu. Laut Wiesenthal sei Eichmann während des Zweiten Weltkriegs von einem anderen Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes gefragt worden, was er antworten solle, wenn er nach dem Krieg zu den Millionen toter Juden, für die er verantwortlich sei, befragt würde, worauf Eichmann nach eigener Aussage mit dem Zitat geantwortet habe.
«Der Tod eines Menschen ist eine Tragödie, der Tod von Millionen ist eine Statistik.»
Jack Foust Matlock Jr. (geboren am 1. Oktober 1929) ist ein ehemaliger amerikanischer Botschafter, Beamter im Auswärtigen Dienst, Lehrer, Historiker und Linguist. Er war ein Spezialist für sowjetische Angelegenheiten während einiger der turbulentesten Jahre des Kalten Krieges und diente von 1987 bis 1991 als US-Botschafter in der Sowjetunion.