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Start der Abstimmungskampagne für die 13. AHV-Rente
Die Rente reicht nicht mehr
Mieten, Krankenkassenprämien, Strom, ÖV: die steigenden Preise haben seit 2021 eine ganze Monatsrente aufgezehrt. Die Rente reicht immer weniger. Die 13. AHV-Rente gleicht diesen Kaufkraftverlust aus – für alle aktuellen und zukünftigen Rentnerinnen und Rentner. Sie ist die kostengünstigste und effizienteste Lösung gegen zu niedrige Renten. Zum Start der Kampagne für eine 13. AHV-Rente ein Beitrag des Präsidenten des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.
von Pierre-Yves Maillard, Präsident SGB | 9. Januar 2024
In den Monaten des Wahlkampfs hatte ich immer wieder Begegnungen, welche mir die tatsächliche Lage der Menschen in unserem Land vor Augen führten. Eine heilsame Übung. Mir kommen regelmässig starke und bewegende Berichte in den Sinn. Eine Krankenschwester, die bis 64 gearbeitet und zwei Kinder allein grossgezogen hat. Sie muss umziehen und sich damit abfinden, eine Einzimmerwohnung zu suchen, weil sie sich eine Zweizimmerwohnung nicht leisten kann. Ein Mechaniker einer Maschinenfirma, der 45 Jahre Vollzeit in der Schweiz gearbeitet hat. Er kann nicht hierbleiben, um seinen Ruhestand in der Nähe seiner Kinder und Enkelkinder zu verbringen – weil die Rente, die er und seine Frau bekommen werden, nicht ausreichen wird, um die Fixkosten in der Schweiz zu bezahlen. Und letzte Woche erzählt mir eine Rentnerin aus einem Freiburger Dorf, dass sie abwechselnd nur den Raum, in dem sie sich aufhält, mit einem Elektroöfeli heizt, weil sie sich nicht leisten konnte ihren Öltank auffüllen zu lassen.
Wohlgemerkt, ich spreche hier nicht von Arbeitslosen. Sondern von Menschen, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet und sich immer als Teil der Mittelschicht verstanden haben. Sie haben ein bisschen Erspartes, manche konnten sich sogar ein Haus kaufen. Die massiven Preis- und Kostensteigerungen lassen sie hilf- und ratlos zurück. Diese Menschen, die von einem durchschnittlichen Einkommen gelebt haben, wissen schlicht nicht mehr, wie sie über die Runden kommen und die nächsten Jahrzehnte in Sicherheit leben sollen. Und selbst wenn sie das Nötigste bezahlen können, müssen sie ihre Träume und Pläne aufgeben, die sie sich während des Arbeitslebens gemacht haben.
Wie konnte es so weit kommen? Und vor allem: Wie ist es möglich, dass der Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments keine Antwort, keine Lösung haben, um diese beispiellose Kaufkraftkrise zu lindern? Wie können sie sich nur mit der Botschaft begnügen: «Schaut selbst, wie ihr zurechtkommt»?
Die Volksinitiativen von SGB und SP sind die einzigen konkreten Antworten auf die unfassbare Situation, von der die Schweizer Bevölkerung betroffen ist. Unsere Initiative für eine 13. AHV-Rente gibt den RentnerInnen eine Antwort. Die Prämienentlastungs-Initiative der SP ist eine Antwort für die gesamte Bevölkerung. Es sind die beiden einzigen Vorschläge, die für die Mittelschicht gemacht sind.
Die Initiative für ein besseres Leben im Alter führt eine 13. AHV-Rente für alle ein. Sie gilt ebenso für BezieherInnen von Ergänzungsleistungen wie für die Mittelschicht oder für Gutsituierte. Wir wollten eine allumfassende Vorlage, weil wir nur so die Mittelschicht erreichen können. Jedes Mal, wenn man eine auf sie ausgerichtete Sozialleistung einführen will, zielt sie an der Mittelschicht vorbei. Weil man einen Antrag stellen muss, weil die Kriterien zu streng sind oder weil es einen Schwelleneffekt gibt. Wir haben einen einfachen, schnellen und notwendigen Vorschlag gemacht.
Angesichts der offensichtlichen Notwendigkeit ist das Argument, es würden die Mittel fehlen, nicht stichhaltig. Zumal all diese Argumente auf Prognosen beruhen, die seit der Einführung der AHV regelmässig zu pessimistisch waren oder instrumentalisiert wurden. Vor fünfzehn Jahren war Herr Couchepin der Meinung, es seien zusätzliche 3,1 Lohnprozente nötig, um die AHV-Rechnung 2030 auszugleichen. Im Jahr 2011 reduzierte Parteikollege Burkhalter diese Zahl zwar etwas. Er hielt aber daran fest, es brauche Leistungskürzungen zwischen 6 und 11 Milliarden oder Beitragserhöhungen von 1,9 bis 2,9 Lohnprozenten.
Nun wurden vier Massnahmen getroffenen: Eine Anhebung der Beiträge um 0.3 Prozentpunkte. Eine leichte Erhöhung der Bundesbeteiligung. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.4 Prozentpunkte. Und schliesslich Nettoeinsparungen von rund 800 Millionen Franken, dies auf dem Rücken der Frauen. Umgerechnet in Lohnprozente kommt man so auf das Äquivalent von etwa einem Prozent. Das ist weniger als selbst die optimistischsten Prognosen vorhersahen. Und dazu muss man noch klarstellen: Diese Massnahmen werden die AHV im Jahr 2030 nicht einfach ins finanzielle Gleichgewicht bringen, sondern in eine viel bessere Situation: Sie werden laut Bundesrat zwischen heute und dem Ende des Jahrzehnts zu einem Anstieg des AHV-Vermögens um fast 20 Milliarden führen. Die Realität ist also einmal mehr sogar weitaus besser als die optimistischsten Prognosen.
Daraus folgt, dass es nach den Zahlen des Bundesrates möglich ist, rasch eine dreizehnte AHVRente einzuführen, ohne zusätzliche Finanzierungsmassnahmen ergreifen zu müssen. Eine weitere Beitragserhöhung müsste, wenn überhaupt nötig, erst ab 2030 erfolgen, und zwar in einer Grössenordnung von weniger als einem halben Lohnprozent für Arbeitnehmende und Arbeitgeber.
Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen, sagt ein vielen Persönlichkeiten zugeschriebenes Bonmot. Der Rückblick ist sicherer, ebenso wie Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Wir ermutigen nachdrücklich dazu, diese so vernachlässigte Praxis anzuwenden.
Unsere Geschichte lehrt uns, dass die Schaffung und Entwicklung eines Sozialwerks eine Frage des politischen Willens ist, nicht falscher technischer Diskussionen und phantasierter oder manipulierter Daten. Man manipuliert zum Beispiel schamlos demografische Daten, indem man alle erwachsenen Frauen unter 65 Jahren von 1948 zu AHV-beitragspflichtigen Arbeitnehmerinnen macht, obwohl es damals nur 20 Prozent waren, während es heute fast 80 Prozent sind. Es ist diese Manipulation, die fälschlicherweise glauben macht, dass sich das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und RentnerInnen seit der Einführung der AHV um die Hälfte verschlechtert hätte.
Damit sollen die frontalsten Angriffe auf die AHV rechtfertigen werden, wie die Initiative der Jungfreisinnigen und die Attacken der FDP.
Für die AHV musste ständig ein Kampf für eine objektive Analyse von Zahlen und Prognosen geführt werden, seit ihrer Gründung und bereits in den Jahrzehnten davor. Von den Anfängen des 20. Jahrhunderts bis heute, 2024, haben die GegnerInnen der AHV diese systematisch als unmittelbar vor dem Bankrott stehend dargestellt. Dieser Bankrott ist jedoch nie eingetreten und er wird auch nicht eintreten. Weil die AHV das Ergebnis des Volkswillens ist, nach vier bis fünf Jahrzehnten Arbeit ein wenig Freiheit und materielle Sicherheit geniessen zu können.
Die AHV ist der solidarische Kitt, der unser Land, seine verschiedenen sozialen Schichten und Generationen zusammenhält. Sie garantiert Frauen und Männern, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben, ein Einkommen, damit sie ein wenig Zeit für sich und andere haben. So wurden sie zur unverzichtbaren Ressource für die Kinderbetreuung und die Unterstützung älterer Menschen. Denn die aktive Generation der Erwerbshaushalte muss einen immer grösseren Teil der Erwerbsarbeit opfern, um über die Runden zu kommen.
Der Kampf zur Verteidigung und Stärkung der AHV ist keineswegs «populistisch», wie es überall zu hören ist. Er ist ein zutiefst demokratischer und patriotischer Akt. Denn die AHV zu schwächen, bedeutet, unser Land und seine Demokratie zu schwächen. Wir wollen sie stärken. Deshalb werden wir uns bei den Abstimmungen im März mit aller Kraft für ein Ja zur 13. AHV-Rente einsetzen. Und eine für eine Ablehnung der fortlaufenden Erhöhung des Rentenalters.