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Der israelische Historiker Zuckermann prangert Diskussionsverhinderung an
«Antisemitismuskeule» gegen Israelkritik
Der Vorwurf des Antisemitismus wird nach Ansicht des israelischen Historikers Moshe Zuckermann zunehmend instrumentalisiert, um Kritik an der Politik Israels mundtot zu machen. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau spricht er von einer «Technik der Beschmutzung und Beschämung», mit der politische Gegner «delegitimiert» würden.
von Redaktion | 25. November 2023
Zuckermann prangert eine «neue Qualität» der Diskussionsverhinderung an. Öffentlicher Widerspruch gegen die israelische Besatzungspolitik werde skandalisiert, Veranstaltungen mit Israelkritikern durch «Raumverbote» verhindert. Er selbst sei bei einer Konferenz zum Nahostkonflikt in Frankfurt vom ehemaligen CDU-Bürgermeister Uwe Becker als «Antisemit» diffamiert worden, obwohl er Nachkomme von Holocaust-Überlebenden sei. «Ich habe in der Stadt gelebt, bevor er geboren worden ist. Ich habe es nicht nötig, mich von Becker als Antisemit oder Judenhasser verunglimpfen zu lassen. Man muss sich in Deutschland fragen lassen, warum ich als Nachkomme von Auschwitz-Überlebenden mich hier als Antisemit beschimpfen lassen muss.»
Ähnliche Erfahrungen wie Zuckermann machen viele israelkritische Juden und Jüdinnen, vor allem in Deutschland. So musste sich die jüdische Bestsellerautorin («Unorthodox») und Israelkritikerin Deborah Feldmann vom deutschen Journalisten Daniel Killy als «Lieblingsjüdin der Nichtjuden» beschimfen lassen. Feldman habe sich in Berlin eingerichtet und lege «nun mit ihrem jüngsten Buch Judenfetisch nach. Was vielleicht als Sinnsuche gedacht war, artet in eine wirre Kaskade von Klischees, Israelhass und jüdischem Selbsthass aus – und das alles in einer Sprache, die schlimme Assoziationen weckt.»
Laut Zuckermann geht es pro-israelischen Lobbygruppen darum, mit dem Antisemitismusvorwurf unliebsame Meinungen zum Schweigen zu bringen. Dabei werde übersehen, dass Judentum, Zionismus und Israel unterschiedliche Dinge seien: Nicht alle Juden seien Zionisten, nicht alle Zionisten seien Israelis und nicht alle Israelis seien Juden.
Auch in Deutschland gebe es zwar einen Bodensatz an Antisemitismus von etwa 20 Prozent. Dieser sei aber für Juden nicht primär bedrohlich und auch kein importiertes Phänomen durch muslimische Zuwanderer. Viel gefährlicher sei derzeit der zunehmende Rassismus gegen Flüchtlinge. «Viel schlimmer als der Antisemitismus sind andere Rassismen, die im Zuge der Flüchtlingsdebatte aufgekommen sind.»
Kritik an der Politik Israels sei nicht per se antisemitisch, betonte Zuckermann, denn es gebe in Israel genug zu kritisieren – etwa die 50-jährige Besatzung palästinensischer Gebiete, die Repression gegen Palästinenser oder das israelische Nationalitätengesetz. Er sieht «Anzeichen von Apartheid» gegenüber den Palästinensern und beobachtet «faschistoide Tendenzen» in Israel wie die Aushöhlung der Gewaltenteilung. «Wenn ich heute Araber unter israelischen Stiefeln wäre, dann wäre ich erstens antiisraelisch. Und insofern ich die Israelis mit Juden identifizieren würde, könnten mir dabei auch eine ganze Menge antijüdische Elemente entfleuchen. Das ist fremdbestimmt, hat aber seine Quelle nicht in einem genuinen westlichen Antisemitismus.»
Jeder dürfe Israel kritisieren, «nur weil es in Israel etwas zu kritisieren gibt», so der Historiker. Wer Kritiker aber reflexartig als Antisemiten brandmarke, verrate – einmal mehr – den Kampf gegen den wirklichen Antisemitismus.
Moshe Zuckermann (*1949 in Tel Aviv) ist ein israelisch-deutscher Soziologe und emeritierter Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv.